Zeitgenössische Imagepflege durch Bildtechnik
Ranjodh Singh Dhaliwal
  • Essay

Promi-Hologramme, Trick-Gespenster und andere Technologien politischer Körper

    Als Großbritannien das 70. Thronjubiläum1 des Oberhaupts seiner Monarchie feierte – einer Institution, die irgendwie noch immer nicht tot ist, auch wenn besagte Monarchin2 sich im Jahre 2022 unseres Herrn schließlich verabschiedet hat –, stürzten sich die Medien auf eine besonders merkwürdige Szene: Bei einer Parade winkte eine digitale Repräsentation von Elisabeth II. der Menge aus der Gold State Coach heraus zu, der besonders vergoldeten Kutsche der britischen Royals. So wurde die Königin inszeniert: nicht 96 Jahre alt, sondern als knackige 27-Jährige, umgeben von massivem Gold – ganz so, wie der Moment 1953 bei ihrer Krönung eingefangen worden war. Die Presse sprach davon, dass die Königin von einem Hologramm vertreten worden sei.3 Die Monarchin fehlte bei ihrer eigenen Jubiläumsfeier und die von ihr geführte Institution lieferte prompt Ersatz für ihr Konterfei.

    Das erinnert an die große Reichweite der mittelalterlichen politischen Theologie – an das, was der deutsche Historiker Ernst Kantorowicz so vortrefflich als "die zwei Körper des Königs" bezeichnete. Dieser Glaube ermöglichte die Fiktion eines Souveräns, der nicht nur den eigenen physischen Körper bewohnte, sondern auch den ungreifbaren, immer anwesenden Staatskörper (d.h., die politische Instanz der Souveränität, die durch Religion, Gesetz oder politische Strukturen verliehen wurde).4 Der Ausruf "Der König ist tot! Lang lebe der König!" – der üblicherweise den Französ:innen zugeschrieben wird: "Le roi est mort, vive le roi!" – bringt dieses Konzept auf den Punkt. Einerseits ist ein König – eine Person mit einem physischen, sterblichen Leib – gestorben. Doch andererseits ist der König – die Vorstellung eines Königs; die institutionellen Strukturen, die aus einem geografischen Zusammenhang ein KönigReich machen; und vielleicht der neue König (der Erbe, dem nach dem Tod seines Vorgängers automatisch dieses Königreich zuteil werden kann) – am Leben. Und möge er lange leben! Diese Aufteilung im Körper des Souveräns mag wie ein wunderliches Thema für Mittelalter-Historiker:innen und andere Monarchie-Hungrige erscheinen, die sich für royale Angelegenheiten interessieren. Allerdings nur, bis wir bemerken, dass die technologischen Funktionen von Körpern – insbesondere von Körpern mächtiger Menschen, wie beim Kutschenbildnis der Elizabeth II. – auch in unserer heutigen Welt wirken und vielerorts eine übergroße Rolle spielen.5

    Schließlich wurden Hologramme in den letzten Jahren von Nachlassverwalter:innen großer Promis, Patentjäger:innen sowie Technologieunternehmen genutzt, um aus den Bildnissen von Toten Geld zu scheffeln. Das Hologramm von Tupac Shakur, das 2012 mit Dr. Dre und Snoop Dogg bei der Coachella auftrat, zog mediale Aufmerksamkeit auf sich und wurde kontrovers diskutiert – hinsichtlich der ethischen Infragestellung der bildhaften Wiederbelebung des legendären Hiphop-Stars sowie der dafür genutzten Technologie. Tupac ist auf seiner Post-Mortem-Reise nicht allein. Unter anderem Whitney Houston, Elvis Presley, Amy Winehouse und Michael Jackson wurden schon als Hologramme wiederbelebt und ein jeder Fall warf moralische, ethische und rechtliche Fragen hinsichtlich der Nutzung solcher Technologien auf. Im Falle Tupacs erhielt das Spezial-Effekte-Unternehmen Digital Domain – von Regisseur James Cameron mitgegründet und schon mit den Computeranimationen für Filme wie Titanic, Der seltsame Fall des Benjamin Button und Marvels Avengers: Endgame betraut – einen nicht veröffentlichten sechsstelligen US-Dollar-Betrag, damit es den Effekt sicher auf die Bühne brachte.6 Vielleicht ist es kein Zufall, dass Digital Domain bloß wenige Monate danach Insolvenz anmeldete. Die Visionen der Spekulation, die dem einen Kapital zuschachern, müssen es wohl einem anderen nehmen.7

    Ein weiterer Toter, der als Hologramm wiederbelebt wurde, war – kaum überraschend – der ehemalige US-Präsident (und zu dieser Geschichte passend: einstige Hollywood-Schauspieler) Ronald Reagan. Er ist ein solider Kandidat, Lieblingspolitiker unseres libertärsten Richards zu sein, und eine der drei Berühmtheiten in der Geschichte des Neoliberalismus. 2018 wurde ein Unternehmen namens HologramUSA von der Ronald Reagan Presidential Library in Kalifornien beauftragt, Ronald zum Leben zu erwecken; und sein Gespenst hat seither ähnlich hart geackert wie sein Namenspatron Ronald und dessen politisches Programm in der ganzen Welt. HologramUSA – das muss ich anmerken – hat eine Webseite voller toter Stars, die das Unternehmen als die von ihm gemanagten "Talente" listet.8 Hier fallen besonders die Namen Schwarzer Künstler:innen wie Nat King Cole, Billie Holiday und Whitney Houston auf, da sie an die gewaltvolle rassistische Geschichte des Managements von Künstler:innen erinnern.9 Heute führen Unternehmen, die sich mit Bildrechten befassen, diesen historischen Umgang der Kontrolle Schwarzer Körper mithilfe von Hologrammen fort. Nicht einmal ihr Tod setzt der Ausbeutung dieser Stars ein Ende.

      Dass Reagan – ein weiterer Protagonist in der Geschichte der Ausbeutung – auf dieser Liste steht, betont einen Kurzschluss in der aktuellen Arena der Politik und öffentlichen Bilder: die Tatsache, dass in unserer Zeit alle Politiker:innen notwendigerweise auch Prominente sind (und andersherum, denn die meisten Prominenten machen auch Politik). Das war auch schon früher so. Imagepflege und Öffentlichkeitsarbeit für Politiker:innen sind so alt wie die Politik selbst. Im antiken Rom etwa mussten Bildnisse noch auf Münzen geprägt werden, sie waren der technische Pfeil im Köcher der Öffentlichkeitsarbeit.10 Doch wie Walter Benjamin in seinen berühmten Thesen zur mechanischen Reproduzierbarkeit schon in den 1930er Jahren vorhersagte, funktioniert Politik heute durch Formen und Modalitäten der Berühmtheit.11 Für Benjamin hatte die Politik das Ritual als Grundlage für das Funktionieren von Kunst abgelöst. Im Ergebnis steuerten wir auf eine gefährliche Zeit zu, in der die Politik ästhetisiert werden würde. Von seinem Blick auf das nationalsozialistische Deutschland aus warnte Benjamin unheilverheißend: "Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg."12 Reagan und Elizabeth II. sind bloß zeitgenössische Beispiele dieser langwährenden Entwicklungen. Doch sie sind durchaus interessant: eine lebendig (in ihrem Erscheinen als Hologramm – mittlerweile hat sich ja auch Elizabeth verabschiedet), der andere tot; sie war beinahe reglose Monarchin auf lebenslang, seine kurzzeitige Exekutivmacht prägte die USA und die Welt für (mindestens) Jahrzehnte und quält sie weiterhin. Was haben diese öffentlichen Figuren (als Wahrnehmungen) heute gemeinsam, wenn sie zu Repräsentationszwecken auf holografische Bildtechniken zurückgreifen?

      Ich erlaube mir einen kurzen technischen Exkurs. Hologramme sind im Grunde Fotografien, die anhand von Lasern statt mit Weißlicht hergestellt werden. Sie verzeichnen einen Moment in Raum und Zeit, der dann reproduziert werden kann – oft mithilfe eines Laserstrahls –, um die Illusion einer 3D-Szene zu erzeugen.13 Der Begriff Hologramm wird sowohl für den Prozess als auch für das Produkt gebraucht und bezeichnet das gesamte Verfahren: von der Aufspaltung eines Laserstrahls in einen Referenz- und einen Objektstrahl über seine Erfassung als Interferenzmuster bis hin zu seiner Darstellung. Hier werden aus einem Bild zwei gemacht: eine Referenz und eine Verschiebung. Diese technische Logik der fragmentierten Wirklichkeit steht vielleicht besser als alles andere für eine Medientheorie des Hologramms. Hologramme sind in vielerlei Hinsicht Technologien, die die Wirklichkeit erweitern (Augmented Reality, AR). Tatsächlich wird Microsofts HoloLens (2015) häufig als AR-Gerät der ersten Generation betrachtet und als Beispiel dieser Beziehung hochgehalten.14 Ein weiteres, vielleicht berühmteres Beispiel einer Technologie, die sich dieser etymologischen Verbindung bedient, ist bezeichnenderweise fiktional: der quasi-magische Erfahrungsgenerator Holodeck in der Fernsehserie Star Trek. Der Begriff holografisch als Adjektiv wird umgangssprachlich – ob es nun technologisch richtig ist oder nicht – oft für eine breitere Reihe an Phänomenen gebraucht, die technisch keine Hologramme sind. Hologramme kommen seit 1988 als Echtheitskennzeichen auf Geldscheinen und Kreditkarten zum Einsatz. Doch in jüngerer Zeit haben andere optisch variable Elemente (Optically Variable Devices, OVD) mancherorts ihren Platz eingenommen.15 Vom technologischen Garanten eines Kreditinstruments (der modernen Untereinheit unseres Finanzsystems) bis zur technologischen Unterstützung von politischer Berühmtheit (und beides sind auf einer systemischen Ebene Versionen des jeweils anderen), operieren holografische Techniken als früheste technologisch vermittelte Werke der Illusion heute weitgehend unter dem Radar. Die langweiligen Träume von virtuellen Realitäten sowie Facebooks Metaversum mögen bloß das andere dystopische Ende dieses Spektrums sein, das eine Wirklichkeit birgt, aus der oder in die wir uns zu flüchten wünschen. Deshalb ist es erwähnenswert, dass die Bildnis-Illusion der Queen (ebenso wie jene von Tupac, Jackson und den anderen), die sich mithilfe der Versprechen einer jungen Souveränin um die winkenden Hände ihrer Untertanen bemüht, technisch gar kein Hologramm war. Es handelte sich um einen sogenannten "Pepper’s Ghost", einen 1862 erfundenen Illusionstrick, der zuerst in Charles Dickens Stück The Haunted Man and the Ghost’s Bargain aufgeführt wurde.16 Pepper’s Ghosts erfordern eine weitere Zweiteilung: eine räumliche. Licht wird von verspiegeltem Glas17 reflektiert und produziert gemeinsam mit einem vor dem Publikum verborgenen Leerraum eine Illusion, die vor dem Publikum eine 3D-Figur erscheinen lässt. Wenn Hologramme einfachere Versionen dessen sind, was heute als AR bezeichnet wird (und es könnte hier definitiv auch andersherum argumentiert werden), dann ist ein Pepper‘s Ghost eine bedeutend einfachere Version eines Hologramms. All diese geschichteten Illusionen müssen symbolisch als eben das verstanden werden: Illusionen.

      Betrachten wir ein weiteres Beispiel eines berühmten Hologramms, das bedeutend mehr Menschen erreichte als das Bildnis in der goldenen Kutsche. Wieder handelt es sich technisch nicht um ein Hologramm, sondern um ein Pepper‘s Ghost: vom indischen Premierminister Narendra Modi bei mehreren Wahlkampagnen im Verlauf des letzten Jahrzehnts.18 Modis Hologramme riefen gleichzeitig die Menschen in mehreren Regionen einer riesigen Nation mit einer Milliarden-Bevölkerung dazu auf, seine politische Partei (die rechte Bharatiya Janata Party, BJP) zu wählen. Genauere Informationen dazu sind rar, aber Modi nutzt diese Technologie (mindestens) seit den Wahlen zur Legislativversammlung Gujarats im Jahr 2012.19 2014 hielt Modis 3D-Repräsentation im Vorfeld der nationalen Wahlen überschwängliche Reden vor tausenden (vielleicht zehntausenden) indischen Wähler:innen – erneut allen gleichzeitig – in verschiedenen Regionen des Landes. Fairerweise möchte ich sagen, dass das womöglich so durchgeführt wurde, um sich den Guinness Weltrekord zu sichern, den die Horde der weltweiten Onkel und Möchtegern-Diktatoren (dieser Tage oft dieselbe demografische Gruppe) sich so sehr wünscht: die "häufigste gleichzeitige Übertragung der Pepper‘s-Ghost-Illusion".20 Modi beauftragte dafür übrigens Musion 3D Ltd., eine der Firmen, die auch an Tupacs Wiederauferstehung beteiligt war. Das zeugt von der Verbundenheit der globalen technologischen und politischen Akteure in diesem merkwürdigen Theater der Imagepflege durch Bildtechnik.

      Ich argumentiere, dass Narendra Modis Verwendung holografischer Technologien – oder genauer: von Theatertricks aus dem 19. Jahrhundert – für landesweit erzeugte politische Illusionen einen Ethos kennzeichnet, den Politiker:innen wie Modi zu kultivieren wünschen: Sie täuschen ihre Untertanen buchstäblich, um sie von einem bestimmten Bild der jeweiligen politischen Figur zu überzeugen. Die sterbende Monarchin braucht die Fassade der Jugend, um ihre Untertanen an die Kolonialzeit zu erinnern, als die britische Krone (und damit auch die britische Bevölkerung) noch über den halben afrikanischen Kontinent herrschte. Modi hingegen braucht den Illusionstrick als Beweis für die technologisch fortschrittliche Nation, die er zu errichten und zu verkörpern behauptet – was jenseits der Bühnen-Trucks, die in indische Städte und Dörfer gekarrt werden, um sein Hologramm zu inszenieren, tatsächlich kaum erkennbar ist. Koloniale (im Fall von Elizabeth II.) und postkoloniale (im Fall von Modi) Hoffnungen, Träume und Lügen werden durch den Gebrauch dieser technologischen Vermittlungen zuallererst und vornehmlich konstruiert (und verstärkt) – Indien und das Vereinigte Königreich vereint in einem gemeinsamen Reich der Täuschung. Ich muss daran erinnern, dass Gujarat von Narendra Modi regiert wurde, als 2002 in diesem Bundesstaat ein grausames Pogrom gegen Muslim:innen stattfand, bei dem fast 2000 Menschen den Mobs zum Opfer fielen, die von staatlicher Seite toleriert oder gar unterstützt wurden.21 Modis Aktie sank auf einen Tiefststand und es brauchte mehrere Jahre der öffentlichen Rehabilitierung, bevor er für den Posten des indischen Premierministers kandidieren konnte. Ein Großteil dieses Wiederaufbaus verdankte er seinen Public-Relations-Kampagnen, die sorgsam von internationalen Unternehmen wie APCO Worldwide durchgeführt wurden – einer PR-Firma, die sich passenderweise auf Krisenmanagement spezialisiert hat und zudem als Lobby-Organ fungiert.22 Von nationalen und internationalen Marketing-Kampagnen, die Investor:innen, Geschäftsleute und Lai:innen von Narendra Modis technologischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten überzeugen sollten, bis zum Zusammentrommeln von Unterstützung in den US-amerikanischen Fluren der Macht (nachdem Modi ein Besuchsvisum in die USA verwehrt wurde): Firmen wie APCO (und andere, wie Soho Square, Ogilvy & Mather oder Madison World) sind wesentlich für die Imagepflege von Leuten wie Modi, wenn er – oder irgendeine andere aktuelle politische Figur – Bedarf hat, die Vergangenheit vergessen zu machen und ein neues Bild zu etablieren. Der holografische Apparat ermöglicht nicht nur, dass Modis 3D-Repräsentationen wie Vertretungen agieren können, die im ganzen Land gleichzeitig Reden halten. Vielmehr steht er selbst für die wandelbare politische Beziehung zwischen dem Souverän und seinen Subjekten. In diesem Fall beginnt eine parlamentarische Demokratie, in der der Premierminister nicht in Wahlen, sondern erst danach von den Parlamentsmitgliedern gewählt wird, wie ein Ein-Personen-Exekutiv-System zu funktionieren, an dessen Steuer Modi steht. Daher ist die Notwendigkeit, dass dieser eine Mann überall zugleich sein muss, gleichermaßen ein technologischer Bedarf wie ein politisches Ansinnen der BJP. Und deshalb ist die holografische Bildgebung durch Pepper‘s Ghosts in einem rekordverdächtigen Umfang eine Illusion, die als eine Allegorie für Modis Imagepflege-Kampagnen verstanden werden muss; also für die jahrzehntelange Kampagne zu seiner Rehabilitierung sowie seine jüngeren PR-Kampagnen wie „Digital India“. Letztere sollte Investitionen anziehen, um zu zeigen, wie stark Indiens technologischer Produktions- und Dienstleistungssektor ist und noch werden kann. Wie könnte ein Mann, der im ländlichen Indien buchstäblich seinen Körper von einer derart fortgeschrittenen (sic) Technologie konstruieren lässt, auch nicht der Vorbote einer technisch optimistischen Zukunft sein, die als Digital India™ angepriesen wird? Die Imagepflege in der heutigen Politik – durch PR-Kampagnen und koordinierte internationale Lobbyarbeit – funktioniert mithilfe der einsatzbereiten Bildtechnik23 der Medienbranche. Zusammen bilden sie ein enges Netz, sie spiegeln einander und konstruieren gemeinsam neue unsterbliche Souverän:innen.

      Hologramme sind insofern eine seltsame Technologie, als dass sie – anders als Fotografien – den aufgezeichneten Moment nicht in jeder räumlichen Anordnung der Aufnahme erschließen. Wenn wir ein Hologramm zerschneiden, zerschneiden wir nicht das Bild; denn jedes holografische Fragment ist eine Überlagerung des Ganzen. Jedes Fragment zeigt das gesamte Bild aus einem anderen Blickwinkel und nicht einen anderen Abschnitt des Bildes wie bei einem Fotofilm. Zumindest lautet so die Argumentation in der ersten veröffentlichten Kurzgeschichte des Science-Fiction-Autors William Gibson, Fragments of a Hologram Rose (1977). Die Geschichte spielt in einer dystopischen Cyberpunk-Zukunft, die von Schuldknechtschaft geschaffen und von der erweiterten Wirklichkeit einer Technologie namens Apparent Sensory Perception (einer "täuschend echte[n] Sinneswahrnehmung") geprägt ist, die Ablenkung von einer kaputten überkapitalistischen Welt und einem globalen militärischen Konflikt bieten soll. Der Protagonist (Parker) findet ein zerbrochenes Hologramm, das ihn an eine Person erinnert, die er einmal geliebt hat. "So ist das mit Hologrammen: Holt man die Fragmente zurück und beleuchtet sie, zeigt jedes einzelne das ganze Bild der Rose."24 Als Parker grübelt, was es bedeutet, die "Lascaux-Gutenberg-Tradition einer präholographischen Gesellschaft" zu erleben, in der du noch nicht die Wahrnehmung einer anderen Person erfahren konntest, fragt er sich: "Wir alle sind Fragmente, Bestandteile voneinander, und: Ist das immer so gewesen?"

      Wenn "jedes Fragment die Rose aus einem anderen Blickwinkel zeigt", dann können wir uns fragen, was diese Allegorie der visuellen technologischen Vermittlung durch Holografie uns in einer kaputten Welt zu sagen hat – uns, als Subjekten, die mit einem Bein noch fest in der vorholografischen Tradition stehen. Wenn einer der zwei Körper der Queen – oder von Modi oder auch seinem türkischen Pendant Erdoğan25 – heute aus holografie-ähnlichen Illusionen besteht, dann können wir sicher sagen, dass dieser Körper nur funktioniert, indem der andere, physische Körper in den anderen Bereich der Bildnis- und Imagepflege verbannt wird: in die Öffentlichkeitsarbeit. Während in dieser Ära des Spätkapitalismus Fiktionen zu Fakten werden, finden wir uns dabei wieder, sorgfältig die vielen konservierten Körper (leibliche wie unternehmerische) und konstruierten Bilder (öffentliche wie technologische) zu sichten, die es von jenen an der Macht und um die Macht herum gibt. Was wir sehen, sind Fragmente, jedes Mal ein anderer Blickwinkel. Doch es war noch nie notwendiger, mehr zu wissen und zu empfinden, als unser Sehen wahrnehmen kann.

      Der Autor dankt Jacob Hagelberg, Sahana Srinivasan, Elise Misao Hunchuck, Nora O Murchú, Anna-Lena Panter, Pip Hare, Jen Theodor und dem gesamten Team der transmediale für die Unterstützung und Veröffentlichung dieses Textes.

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        Das Platinum Jubilee Central Weekend (2. - 5. Juni 2022) war eine Feierlichkeit zum 70. Jahrestag der Thronbesteigung von Elisabeth II. (am 6. Februar 1952). Sie war das erste britische Monarchieoberhaupt, das dieses Jubiläum feiern konnte.
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        Elizabeth II (Elizabeth Alexandra Mary; 21 April 1926 - 8 September 2022).
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        Auseinandersetzungen mit der Frage der Vertretung finden sich bei: D. Mulvin, Proxies: The Cultural Work of Standing In, Cambridge, MA, MIT Press, 2021; W. H. K. Chun, Discriminating Data: Correlation, Neighborhoods, and the New Politics of Recognition, Cambridge, MA, MIT Press, 2021; B. Geoghegan, "Administrative Detours-in-Being: Roman Catholic Political Form and German Media Theory", öffentliche Vorlesung, University of Notre Dame, 13. April 2022. Für ein Beispiel der Pressereaktionen, siehe: The Guardian http://www.theguardian.com/uk-news/video/2022/jun/05/queen-elizabeth-appears-as-hologram-inside-260-year-old-golden-carriage-video?CMP=twt_gu – Echobox=1654443498.
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        Ernst H. Kantorowicz. Die zwei Körper des Königs – Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, aus dem Amerikanischen von Walter Theimer, München, Deutscher Taschenbuchverlag, 1990(1957).
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        Der französische Denker Michel Foucault hat mithilfe dieser Analytik den Körper der Verdammten besprochen. Prominente und Unternehmenskörper können durch eine ähnliche Linse analysiert werden, ebenso wie die Bilder von Sportler:innen und ihre Repräsentationen; oder auch religiöse Galionsfiguren; um nur ein paar Beispiele zu nennen. Weitere finden sich bei: F. W. Maitland, "Crown as Corporation", Law Quarterly Review, Nr. 17, 1901, S. 131–146; M. Foucault, Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses, aus dem Französischen von Walter Seitter, Frankfurt, Suhrkamp, 1976(1975); M. P. Marks und Z. M. Fischer, "The King’s New Bodies: Simulating Consent in the Age of Celebrity", New Political Science, Band 24, Nr. 3, 2002, S. 371–394; R. S. Dhaliwal, "Playing with Oneself: Six Notes on Fantasies and Frustrations of Famous Footballers", in R. Guins, H. Lowood und C. Wing (Hg.), EA Sports FIFA: Feeling the Game, New York, Bloomsbury Academic, 2022, S. 145–160; Agostino Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes, aus dem Italienischen von Ansgar Wildermann, München, C.H. Beck, 1997(1994).
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        Es waren weitere vertraglich und durch Lizenzfragen eingebundene Unternehmen beteiligt. Weitere Informationen unter: ( https://www.forbes.com/sites/crime/2012/05/10/digital-domain-cashes-in-on-hologram-tupac/?sh=58f0d9f47d45 ); ( https://www.ebony.com/tupac-hologram-cost-100k-400k )
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        Siehe beispielsweise: G. Horne, Jazz and Justice: Racism and the Political Economy of the Music, New York, NYU Press, 2019.
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        Für eine wunderbare dokumentarische Designgeschichte, die sich mit Münzen und Bildern befasst, siehe: C. Lee, Immutable: Designing History, Eindhoven, Onomatopee/Library Stack, 2022. Siehe auch: H. A. Innis, Empire and Communications, Victoria, Press Porcépic, 1986.
      11. 11
        W. Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1963. (Ursprünglich auf Französisch erschienen in: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 5, 1936.)
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        Benjamin, S. 42.
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        Unter anderem Sean F. Johnston hat die kulturelle und technische Geschichte dieses Prozesses umfassend untersucht. Siehe beispielsweise: S. F. Johnston, "Attributing Scientific and Technological Progress: The Case of Holography", History and Technology, Band 21, Nr. 4, Dezember 2005, S. 367–392; S. F. Johnston, "A Cultural History of the Hologram", Leonardo, Band 41, Nr. 3, 2008, S. 223–229. Siehe auch Jens Schröter's work on this topic. For example, J. Schröter, 'Holographic Knowledge and Non-Reproducibility', MediArXiv, March 27 2019, https://doi.org/10.33767/osf.io/9zbe5 .
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      15. 15
        ( https://www.gi-de.com/en/payment/cash/banknote-security-technology/insights-banknote-security-technology/30-years-holograms-on-banknotes ). Siehe auch: S. Gießmann, "Money, Credit, and Digital Payment 1971/2014: From the Credit Card to Apple Pay", Administration & Society, Band 50, Nr. 9, 2018, S. 1259–1279.
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        J. H. Pepper, The True History of the Ghost: And All about Metempsychosis, London, Cassell & Co, 1890; J. Steinmeyer, The Science Behind the Ghost: A Brief History of Pepper’s Ghost, The Victorian Theatrical Sensation, Burbank, Hahne, 2013.
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        Heute wird als verspiegeltes Glas meist das allgegenwärtige Plexiglas verwendet. Für eine Kulturgeschichte von Plexiglas, siehe: S. Mattern, "Purity and Security", Places Journal, Dezember 2020.
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        A. Basu, Hindutva as Political Monotheism, Durham, Duke University Press, 2020; A. D. Needham und R. S. Rajan (Hg.), The Crisis of Secularism in India, Durham, Duke University Press, 2007. Auch interessant ist Modis Besessenheit mit Statuen und seine jüngste Werbung für Hologramme als Vertretung für tatsächliche, künftig versprochene Statuen. Siehe K. Jain, Gods in the Time of Democracy, Durham, Duke University Press, 2021; ( www.thehindu.com/news/national/prime-minister-narendra-modi-unveils-hologram-statue-of-netaji-subash-chandra-bose-at-india-gate-on-january-23-2022/article38314481.ece ).
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        V. K. Jose, "The Emperor Uncrowned: The rise of Narendra Modi", The Caravan, 1. März 2012, ( https://caravanmagazine.in/reportage/emperor-uncrowned-narendra-modi-profile ); D. Filkins, "Blood and Soil in Narendra Modi’s India), New Yorker, 2. Dezember 2019, ( www.newyorker.com/magazine/2019/12/09/blood-and-soil-in-narendra-modis-india ); ( https://economictimes.indiatimes.com/news/company/corporate-trends/how-an-american-lobbying-company-apco-worldwide-markets-narendra-modi-to-the-world/articleshow/17537402.cms ). Siehe auch: J. Pal et al., "Twitter and the Rebranding of Narendra Modi", Economic and Political Weekly, Band 51, Nr. 8, Februar 2016, S. 52–60.
      23. 23
        J. Parikka, Operational Images: From the Visual to the Invisual, Minneapolis, University of Minnesota Press, erscheint im Juli 2023; H. Farocki, "Phantom Images", aus dem Französischen von Brian Poole, in Public, Nr. 29, 2004, S. 12–22.
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        W. Gibson, "Fragmente einer Hologramm-Rose", aus dem Amerikanischen von Peter Robert und Reinhard Heinz, E-Only, Heyne Verlag. Online verfügbar: ( https://diezukunft.de/story/buch/fragmente-einer-hologramm-rose# ). Erstveröffentlichung in: ders. Unearth, 1977.
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        M. Ford, "Giant Hologram of Turkish prime minister delivers speech. Welcome to 21st-century politics", The Atlantic, 27. Januar 2014. ( https://www.theatlantic.com/international/archive/2014/01/giant-hologram-of-turkish-prime-minister-delivers-speech/283374/ ). Auch der linke französische Politiker Jean-Luc Mélenchon hat schon von dieser Technologie Gebrauch gemacht. Die technologische Zukunft, die nationalstaatliche Politiker:innen sich heute erhoffen und die sie versprechen, genießt für eine stagnierende Imperialmacht wie Frankreich eine ebenso spekulative Priorität wie für einen postkolonialen Staat wie Indien. Denn spätkapitalistische Schwierigkeiten umgeben uns alle, wenn auch nicht in gleichem Maße. Siehe: ( www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/la-vie-numerique/l-hologramme-de-melenchon-et-surgit-un-fantome-9620584 ).